Die Terrormiliz Boko Haram verbreitet im Norden Nigerias Angst und Schrecken. Häufiges Ziel der Angriffe sind Schulen, da Boko Haram nichtislamische Bildung als Sünde verurteilt. Viele Kinder flüchten mit ihren Familien in den Süden, wo CSI manchen den Schulbesuch ermöglicht.
«Sie foltern und töten Leute.» Die kleine Juliet sagt dies mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Fünftklässlerin haben sollte, wenn es um Gewalt, Vertreibung und Mord geht. Doch genau dies war die Realität in Juliets Leben – bis vor einem Jahr.
Juliet kommt aus dem nigerianischen Bundesstaat Borno, ganz im Nordosten des Landes. Es ist eines der Gebiete, wo die radikale islamistische Terrormiliz Boko Haram Angst und Schrecken verbreitet. Es gibt in Borno kaum noch Orte, wo man vor den Kämpfern sicher ist.
Boko Haram heißt übersetzt: «Westliche Bildung ist Sünde». Sie kämpfen gegen alles, von dem «westlicher» Einfluss ausgehen könnte: Fernsehen und Medien, die christliche Regierung in Abuja, christliche Siedlungen und ganz besonders Schulen. Im Juli 2013 rief Abubakar Shekau, der Anführer von Boko Haram, per Video zu gezielten Attacken auf Schulen auf. «Lehrer, die westliche Bildung verbreiten? Wir töten sie! Wir töten sie vor den Augen ihrer Schüler und sagen den Schülern, sie dürfen nur den Koran studieren.» Allein im Jahr 2013 wurden in Borno etwa 50 Schulen angegriffen und niedergebrannt. Häufig wurden dabei Lehrer und Schüler getötet oder entführt. Insgesamt sind es mindestens 15 000 Kinder, die dort nicht mehr zur Schule gehen können.
Der Kampf der Boko Haram gegen die nichtislamischen Schulen wird immer härter und grausamer geführt. Im April 2014 entführte Boko Haram bei einem einzigen Angriff auf eine Schule in Chibok mehr als 250 zumeist christliche Schülerinnen und zwangsislamisierte sie. Bis heute sind die Schülerinnen in der Gewalt von Boko Haram. Abubakar Shekau verkündete per Videobotschaft, dass er die Mädchen als Sklavinnen verkaufe.
Das Schulsystem in Borno ist mittlerweile zusammengebrochen, beinahe alle Schulen wurden geschlossen. Nur in Maiduguri, der Hauptstadt von Borno, wird noch unterrichtet. Aus dem Umland sind viele vor den Kämpfen in die Stadt geflohen, weil hier Regierungstruppen bisher einigermaßen die Kontrolle behalten konnten. Es sind so viele Flüchtlinge in der Stadt, dass die Regierung mit der Situation kaum noch zurechtkommt. Hunderte von Frauen und Kindern, deren Männer und Väter getötet wurden, sind in behelfsmäßigen Lagern und öffentlichen Gebäuden wie Schulen untergebracht. Die Atmosphäre ist vergiftet von Angst und Hass, was dazu führt, dass sich Christen und Muslime gegenseitig nicht mehr trauen. Muslime, die sich öffentlich gegen Boko Haram aussprechen, werden ebenfalls getötet.
Auch Juliets Familie war in ihrer Heimat nicht mehr sicher: «Boko-Haram-Kämpfer kamen zu mir und drohten, mich zu töten oder zu vergewaltigen, weil ich zur Schule gehe. Es gab keine Sicherheit. Ich hatte Angst, weiterhin zur Schule zu gehen.» Im September 2013 floh ihre Familie nach Enugu, einer Großstadt im Süden des Landes.
In Enugu befindet sich die Sankt-Leo-Schule, die von unseren Projektpartnern vor Ort betrieben wird. Als CSI 2013 erstmals nach Enugu kam, fehlte es an vielem. CSI finanzierte die dringend benötigte Schuleinrichtung wie Schulbänke und bezahlt seither das Schulgeld für hundert Flüchtlingskinder, die dort die Primarstufe besuchen. Juliet ist eines von ihnen. «Es ist eine gute Schule. Keiner behandelt uns hier schlecht», sagt sie. Die Sankt-Leo-Schule ermöglicht es Kindern, die aus einem Umfeld von Angst und Hass fliehen mussten, in Sicherheit und Frieden zu lernen, zu spielen und zu wachsen – und vielleicht eines Tages ihren Beitrag für Frieden im Land zu leisten.
Von seiner letzten Reise nach Nigeria kam unser Projektkoordinator Franco Majok hoffnungsvoll zurück: «Wir können in Nigeria wirklich etwas bewegen. Bald werden wir die Früchte sehen.»
Luise Fast
Boko Haram ist ursprünglich eine Fremdbezeichnung für die radikal-islamistische Terrormiliz Jama’atu Ahlis Sunna li-Dda’wati wal-Jihad (Vereinigung der Nachfolger Mohammeds für den Ruf zum Islam und zum Dschihad). Inzwischen nennen sich auch die Kämpfer selber Boko Haram, was auf Hausa «Westliche Bildung ist Sünde» heißt. Ziel der radikalen Islamisten ist ein Scharia-Staat im Norden Nigerias. Sie bekämpfen vor allem Christen und ihren Einfluss in der Gesellschaft: Dazu gehören Schulen, Medien und die christliche Regierung. Besonders aktiv ist Boko Haram in den nordöstlichen Bundesstaaten Yobe, Kano, Bauchi, Borno und Kaduna (siehe Karte auf Seite 6), wo mittlerweile ein heftiger Bürgerkrieg tobt und es beinahe täglich zu Angriffen und Entführungen durch Boko Haram kommt. Doch auch in weiter südlich gelegenen Regionen verüben die islamistischen Terroristen immer wieder Anschläge. Mehr als 40 000 Menschen sind bereits vor Boko Haram geflohen, mehr als 6000 wurden bisher getötet.