Im Zusammenhang mit einer Gedenkstätte für die Opfer des Genozids im Osmanischen Reich wird die Schweiz von der Türkei massiv unter Druck gesetzt. Der Bundesrat hat nachgegeben. Das dürfen wir nicht akzeptieren.
Wird der Genozid an den Christen im Osmanischen Reich öffentlich thematisiert, muss man nicht lange auf Proteste türkischer Regierungsvertreter warten. Aktuelles Beispiel: Noch vor der Weltpremiere des Dokumentarfilms «Génocide Arménien: le spectre de 1915» anfangs März 2015 am Filmfestival in Genf sandten türkische Diplomaten den Organisatoren einen Brief, in dem sie ihr Missfallen ausdrückten.
Was eine in der Nähe des UNO-Sitzes (Palais des Nations) geplante Genozid-Gedenkstätte in Genf betrifft, wurde die türkische Regierung deutlicher: Sie setzte die Schweiz massiv unter Druck, die Gedenkstätte nicht zu bewilligen – und hatte Erfolg: Bundesrat Burkhalter intervenierte im (städtischen) Baubewilligungsverfahren und «empfahl» dem Kanton Genf, die Gedenkstätte zu verhindern. Das internationale Genf müsse «ein unparteiisches und friedliches Umfeld bewahren». Der Genfer Staatsrat schlug der Stadt Genf daraufhin vor, für die Gedenkstätte einen weniger prominenten Standort zur Verfügung zu stellen. Der definitive Entscheid steht noch aus.
Ausgerechnet 100 Jahre nach dem Genozid unterstützt die Schweiz lieber einen Staat, der vergangenes Unrecht abstreitet und religiöse Minderheiten bis heute massiv diskriminiert, als ein deutliches Zeichen für die Opfer zu setzen.Damit sendet die Schweiz das Signal: Religiöse Säuberung ist tolerabel. Doch die Leugnung hat Konsequenzen. Der türkische Menschenrechtsaktivist Ragip Zarakolu sagte an der eingangs erwähnten Weltpremiere gar: «Das Resultat der Leugnung des Genozids durch die Türkei ist der Islamische Staat.» Die Dschihadisten wollen – notabene unterstützt von der Türkei – zu Ende führen, was die Jungtürken begonnen haben.
Adrian Hartmann
NZZ: Burkhalters diplomatischer Eiertanz mit Ankara
NZZ: Drohungen gegen die Schweiz in der Armenierfrage